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#timesup - Schluss damit!

In diesem Artikel geht es mir um ein Grundsatzthema, welches mich persönlich begleitet hat.
Es ist der Grund, weshalb ich diesen Blog gestartet habe.
Ich möchte Betroffenen näher bringen, wie ich es geschafft habe, mich aus der Negativspirale zu lösen und ein Gefühl der inneren Ruhe zu erlangen.

 

Gewalt.

 

Die Definition von Gewalt lautet in etwa, dass durch Machtausübung (psychisch oder physisch) und brutales Vorgehen ein gewünschtes Verhalten erzwungen oder jemand verletzt wird.

 

Ich möchte heute über eine bestimmte Form der Gewalt sprechen: sexuelle Gewalt.

 

Der #metoo hat letztes Jahr Staub aufgewirbelt. Und unglaublich viele Frauen haben dadurch den Mut gehabt, ein Zeichen zu setzen. Es war bei den Wenigsten eine nachhaltige Offenbarung und Aufklärung, aber dennoch wurde der erste Schritt getan.

 

Für manche war dies vielleicht der notwendige Schritt raus aus der Scham. Raus aus dem Teufelskreis der Schuld, der Selbstsabotage und dem Gefühl der Wertlosigkeit, das durch ein solches Erleben vermittelt wird. Vielleicht war es auch ein Schritt näher ran, an den lauten Aufschrei, der in manchen schlummert, die sexuelle Gewalt erlebt haben.

 

Was es auf jeden Fall war: ein Schritt in die richtige Richtung.

 

Auch ich habe sexuelle Gewalt erlebt. Und dieses Erleben schlummerte lange in mir. Ich hatte es verdrängt. Einfach komplett aus meiner klaren Erinnerung rausgehalten. Man nennt das „dissoziative Amnesie“. Es betrifft einige, die in jungen Jahren sexuelle Gewalt erlebt haben. Dabei scheint für den Körper die einzige Überlebensmöglichkeit darin zu bestehen, dass diese Erlebnisse nicht in das Archiv des Gehirns dringen. Es wird sich völlig abgespalten vom dem, was da passiert. Als würde man aus seinem Körper austreten und erst wieder einschalten, wenn das lebensbedrohliche Erlebnis vorbei ist. Dabei kann es passieren, dass die Erinnerung zwar irgendwie vorhanden ist, aber absolut nicht greifbar. Es schwebt im Vorraum des Archivs, wird aber nicht abgelegt.

 

Und dann kann irgendwann ein Tag kommen, an dem es angetriggert wird. Ein Geruch, ein Geräusch, eine Berührung… irgendwas weckt dieses in dir schlummernde Monster.

 

So war es bei mir.

 

Sommer 2013. Ein wunderschöner Abend mit lieben Menschen. Feuerwerk im Hintergrund. Ich lehne mich entspannt an meinen Freund an und schließe die Augen. Es geht eine Rakete hoch und – zack – da ist ein Bild. Ein Bild, das mich verstört und das ich nicht zuordnen kann.

 

Damals habe ich dieses Bild einfach wieder in die Schublade zurück gesperrt, aus der es kam. Es schien mir zu abstrus.

 

Dann der Jahreswechsel 2016/17. Ich hatte schon immer Probleme mit der Ernährung. Ganz besonders, wenn ich in einer Beziehung war. Nach einer Weile nahm ich unkontrolliert zu. Fressanfälle plagten mich. Und ich konnte mir einfach nicht erklären, woher sie kamen. Als dann der Jahreswechsel anstand, fasste ich erneut den Entschluss dieses Problem anzugehen und fand die Motivation dazu. Ich begann auf Kohlenhydrate zu verzichten. Anscheinend baten diese jedoch den Schutz, den meine Seele gebraucht hatte, um die Erlebnisse unter Verschluss zu halten.

Es dauerte nur wenige Tage und wieder tauchten Bilder auf. Diesmal zu konkret, um sie einfach abzutun. Sie kamen einfach so und waren völlig erbarmungslos. Sie zeigten sich in Momenten, in denen ich niemals damit hätte umgehen können, so hilflos wie ich war.

 

Es waren nur Erinnerungsfetzen. Doch diese waren so eindrücklich und durchdringend, dass sie mich komplett aus der Bahn warfen.

 

Die Spirale begann. Es ging immer tiefer bergab. Hinein in den Strudel aus Verzweiflung, Scham und Misstrauen. Ich möchte jetzt nicht näher auf das eingehen, was hochkam. Es reicht, zu erwähnen, was dadurch in mir passierte.

 

Wer es nicht erlebt hat, kann es sich schwer vorstellen. Der Abgrund riss immer weiter auf.

Ich stand an der Klippe und war an vielen Tagen überzeugt davon, dass es besser wäre, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich es aushalten sollte, so weiterzuleben. Das war doch kein Leben, das lebenswert war! Ständig heimgesucht werden von Bildern und Gefühlen, die ich nicht kommen sah. Die mich völlig fertig machten. Die mir das Vertrauen nahmen in alles, was ich war, alles, was ich kannte. Und vor allem in alle Menschen, die mich umgaben. Ich habe zeitweise keinem mehr getraut. Alle schienen potenziell gefährlich. Sie alle hätten die Macht haben können, mich noch mehr zu verletzen. Sie alle hätten insgeheim diese Bösartigkeit in sich tragen können.

 

Heute weiß ich, dass es die beste Entscheidung war, mich diesen Menschen, die ich so sehr liebe, anzuvertrauen. Meinem engsten Kreis öffnete ich mich völlig. Ich versuchte auch, mit anderen Menschen zu sprechen. Ich hoffte auf Verständnis für mein seltsames Verhalten und für meine krassen Stimmungsschwankungen. Mein Leben lief ja weiter. Nebenbei befand ich mich in der Abschlussphase meines Studiums. Es standen die bisher wichtigsten Prüfungen meines Lebens bevor. Ich hatte zu hart dafür gearbeitet dorthin zu kommen, um mich jetzt von diesen inneren Dämonen zum Scheitern bringen zu lassen. Augen zu und durch.

 

Zusätzlich holte ich mir Unterstützung beim örtlichen Frauennotruf und ging dort in Therapie.

 

Es war so hart! Es war unfassbar hart.

 

Manchmal weiß ich nicht, woher ich die Kraft nahm, das durchzuziehen. Doch ich habe es geschafft.

 

Ich bin vor den Bildern, die mich heimsuchten, nicht geflohen. Ich habe sie mir angesehen. Bin hinab getaucht auf den Grund, ganz tief in mir drinnen. Ich habe mir jedes verdammte Bild angeschaut und damit gearbeitet, um es zu verdauen. Ich habe mein inneres Kind in meine Obhut genommen und ihm immer wieder versichert, dass alles gut ist. Die Kleine in mir drin ist unheimlich tapfer.

 

Ich habe mich mir selbst gestellt. Habe mich völlig entblößt gesehen.

 

Und zwischen all der Wut, Enttäuschung und Verzweiflung, gab es Momente, in denen ich fühlte, dass ich auf dem Weg zur inneren Ruhe war. Mein Instinkt hat mich nicht getäuscht.

 

Ich bin unglaublich stolz auf mich, dass ich diesen Mut hatte, in die Dunkelheit hinein zu gehen und nicht vor ihr zu fliehen.

 

Es ist kaum zu glauben, doch heute, nur ein Jahr später, kann ich sogar die positiven Aspekte des Ganzen sehen. Ich werde nicht mehr überrannt von den Emotionen. Wenn sich etwas zeigt, kann ich es ganz entspannt willkommen heißen und ansehen, wenn ich die Ruhe dafür habe. Ich habe gelernt, mit diesen Dämonen in mir zusammen zu arbeiten. Sie haben sich einfach als ein Teil von mir herausgestellt, den es anzunehmen gilt. Sie wollen integriert werden und nicht bekämpft.

 

Wenn ich heute daran denke, dass ich noch vor einem halben Jahr an diesem Abgrund stand und nicht wusste, wie es weitergehen soll - ob es weitergehen soll…

 

Ich habe eine Ruhe in mir gefunden, ein Selbstvertrauen, eine Macht, die stärker ist, als das, was mir angetan wurde. Diese Macht lässt mich wissen, dass ich alles schaffen kann. Dass ich alles überleben kann. Wenn ich nur an mich glaube, Geduld mit mir habe und mich so annehme, wie ich mich mir zeige. Ob in Dunkelheit oder im Licht. Alles gehört zum Leben dazu.

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Ich könnte stundenlang erzählen über dieses Jahr, das mich so viel gelehrt hat über mich selbst und die Schatten in mir. Es lässt sich so viel erklären dadurch. Es ist, als ob sich ein Kreis geschlossen hätte. Endlich macht alles Sinn.

 

Mittlerweile schaue ich auf dieses Jahr, als wäre es ein alter Freund, der mir weise zur Seite stand. Ich BIN dieses Jahr nicht mehr. Es macht mich nicht mehr aus. Es ist wie ein Puzzleteil, das an seinen Platz gefunden hat. Das Bild ist wahrscheinlich noch nicht komplett, aber ich habe gelernt, mit dem umzugehen, was hochkommt. Ich kann Stück für Stück weiter puzzeln.

 

Und vor allem kann ich wieder die anderen Puzzleteile sehen, die so viel wichtiger sind und wirklich meinen innersten Kern darstellen. Ich bin so viel mehr, als das, was mir passiert ist.

 

Wir alle sind so viel mehr, als das, was uns passiert ist.

 

Das, was uns angetan wurde, egal welcher Art, beeinflusst uns. Aber es geschieht vor allem, um uns etwas zu lehren.

 

Legt den Fokus wieder auf euren Kern. Lasst euch nicht unterkriegen von Gewalttaten und Ungerechtigkeiten.

 

Steht wieder auf und besinnt euch auf das, was wirklich zählt.

 

Keine Gewalt der Welt sollte uns wirklich nachhaltig schädigen. Und sie kann es auch nicht, wenn wir es nicht zulassen.

 

Sei dir selbst mehr wert. Und glaub mir, DU BIST ES WERT!

 

 

 

Wer glaubt, meine Erfahrungen könnten ihm eine Hilfe sein: Melde dich gerne. Aber suche dir bitte vor allem professionelle Hilfe! Keine/keiner muss da alleine durch! Öffne dich und schäm dich nicht. Du bist nicht schuld an dem, was dir angetan wurde!

 

Wenn jemand Fragen zum Frauennotruf hat, schreib mir.

 

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